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Als Übersetzerin, Begriffsbildnerin und Schriftstellerin arbeite ich ständig mit Wortfeldern. Ein Wortfeld zeigt ein Wort in einem Zusammenhang mit anderen Wörtern — je nach Fragestellung einem etwas anderen.

Wenn wir beispielsweise Ersatzwörter suchen (Synonyme), um nicht dauernd das Wort ‘sagen’ zu sagen, sehen wir Wortfelder wie hier auf Woxikon — “838 Synonyme in 32 Gruppen” [abgerufen 30. Mai 2024] … Gruppe ist ein anderes Wort für ‘Wortfeld’.

Oder wir schauen uns die verschiedenen Bedeutungsebenen eines Wortes an, wie in diesem englischen Beispiel zum Begriff conflict.

4 Ebenen der Bedeutung laut
freethesaurus.com: “conflict”

Oder wir wollen übersetzen! … Um das Thema Übersetzen kommen wir bei den Genschlüsseln ja nicht drumherum, egal ob wir ausgezeichnet Englisch können, oder kein Wort Englisch können und jemand anders übersetzt hat. Übersetzungen sind ein extrem unterschätztes Thema, so meine Ansicht nach fünfzig Jahren Ansicht. (😉)

Ein erstes Wörterbuch, das wir zur Hand oder heutzutage: auf den Bildschirm nehmen, wird kaum ein englisches Wort mit nur einer Übersetzung ausweisen: vielmehr sehen wir ein erstes Feld deutscher Begriffe.
Ein harmloses Beispiel für verengtes Übersetzen ist der Begriff confusion, den wir fast alle im Handumdrehn mit “Verwirrung” übersetzen. Schauen wir uns das übersetzerische Wortfeld in einem erstbesten Wörterbuch an, auf LEO.

Übersetzen ist Kontext!

Zieht man weitere Wörterbücher hinzu, merkt man als nächstes, daß keines dasselbe Feld aufspannt wie ein anderes — sie unterscheiden sich erheblich im Umfang des Gelieferten, oft aber auch inhaltlich. Manchmal hat man das Erlebnis eines “Trefferbegriffs”, den man zuvor in keinem anderen Wörterbuch gefunden hat! Übersetzen ist Kontext. Deswegen kann auch kein Wörterbuch der Welt erschöpfend sein.

Nimmt man nun all seine gefundenen Übersetzungen zusammen (=eine Frage, wieviel Arbeit man investiert, denn es gibt immer noch mehr Fundgruben), so sieht man ein Wortfeld in der Dimension der Breite vor sich — mindestens all das kann der englische Begriffe bedeuten! Je nach Kontext.
Das Wortfeld hat jedoch auch eine Tiefe: denn jedes Wort hat eine Geschichte. Oft ist die ursprüngliche Bedeutung, also die wörtliche Bedeutung zu Entstehung seines Gebrauchs, erfreulich erhellend: sie trifft das Herz des Begriffes, seinen Kern. Die weitere Geschichte des Wortes mag zeigen, wie die Bedeutung im Laufe der Zeit übertragen wurde, sich erweiterte, veränderte oder verengte, und schön kann man auch sehen, wie manch geschichtlich jüngere Verwendungsweise den Inhalt eines Wortes verflacht hat. In einigen Fällen ist nebenher ein negatives und saloppes Bedeutungsfeld entstanden.
Um das Wesen eines Begriffs zu erfassen, sein Herz, seine Geschichte, seine Schichten, ist es von Bedeutung, ihn auf diese breitere und tiefere Art zu erkunden, die ich hier “Wortfeldtechnik” nenne.

Übersetzer
Mit Wortfeldern vertraut zu sein oder sie von Fall zu Fall heranzuziehen, ist eine von zwei Grundlagen des Übersetzerhandwerks. Die Herausforderung liegt ja darin, durch die Wahl eines einzelnen Begriffes (gegebenenfalls einer Umschreibung) ein Wortfeld, Kanalsystem oder Geäst in der eigenen Sprache hervorzurufen oder zu eröffnen, das dem des Originals inhaltlich-assoziativ am nächsten kommt.

Muttersprachler
Wortfelder sind für uns naturgemäß am verzweigtesten und geschichtsträchtigsten, am stärksten in der Muttersprache, von aller Subjektivität des Sprechers abgesehen (und natürlich spielt auch die Bildung eine Rolle).
Machen wir uns klar, daß ein Englisch-Muttersprachler das Wortfeld, das wir als Deutschmuttersprachler uns erst erarbeiten müssen, ganz von selbst bei sich hat, ohne daß er dafür viel tun muß! Er steht von vornherein mit diesem lebendigen Feld der Breite und Tiefe in Verbindung. Und kann sofort anfangen, diesen Begriff, wie es bei uns in den Genschlüsseln immer heißt: zu kontemplieren. Also mit dem Wort loszureisen, es von allen Seiten zu bedenken und zu befühlen, es zu beobachten, seine Zusammenhänge zu erfassen und sich mit der Zeit die ureigene Sichtweise AUF das / die ureigene Erkenntnis VON dem zu erschaffen, was dieser Begriff einem überhaupt vermitteln will … besser gesagt, was der Autor durch ihn vermitteln will. Denn die Sprache will ja nichts, sie ist nur ein Medium.

Meine Arbeit
Ich kleide die englischen Begriffe in die Wortfelder ihrer Geschichte und möglicher Übersetzungen, um an das “Kanalsystem” heranzukommen, das in ihnen lebt. Dadurch sind meine Beiträge grundsätzlich von ergänzender und impulsgebender Natur, unabhängig davon, ob ein Begriff, der als Übersetzung grade meine Nr. 1 ist, sich mit offiziellen Übersetzungen deckt (der eine Pol) oder sehr davon abweicht (anderer möglicher Pol) oder irgendwo dazwischen liegt. Oder ob er meinen eigenwilligen Stil trägt! (🤣)
Meine Arbeit ist von ihrem Wesen her eine fortlaufende, immer in Bewegung seiende — neue Erkenntnisse, sich verändernde Felder, neue “End”ergebnisse.
Endgültige Enden gibt es bei mir eigentlich immer nur aus Zeitgründen (zwangsläufig erweisen sich davon viele), aber nur selten aus dem Grund, daß sich mir einmal etwas als inhaltlich einigermaßen erschöpft darstellen würde. Was erschöpfend sein kann. (😅)